Uncategorized Nov 17, 2016

Motto der 3. BOARDSTORIES? Unerwartete Wendung.

Berlin-Lichterfelde, 17. November 2016, 18:00 Uhr. Die meisten kommen direkt von der Arbeit, manche mit dem Bus, andere mit dem Taxi. Nicht nur mein Mitgründer, Kai-Alexander, extra (aus Spanien) eingeflogen – auch Präsident Obama ist in der Stadt. Der Verkehr ist zähflüssig, sagt das Radio, mit den “Öffis” geht mal wieder fast nichts mehr, längst ist es dunkel, kalt und neblig. Berlin im November eben. In dicke Jacken, Schals und Mäntel gewickelt, schnellen Schrittes, die langgestreckte, von alten Baumkronen überschattete Auffahrt entlang, sind sie endlich unter dem Vordach der pittoresken Veranda, rasch die letzten Stufen hinauf und hinein in die warme, festlich erleuchtete Villa KULT: Willkommen zu unserer 3. Ausgabe der BOARDSTORIES. Renate Roginas, Grande Dame der Filmwirtschaft und Inhaberin der Villa, bespricht mit uns letzte Details des Abends.

Die Villa KULT – Geheimtipp für Kulturliebhaber*innen, Reisende und Kreative

Wir haben das Baby dabei. Und während wenig später PD Dr. Elke Holst, Forschungsdirektorin Gender Studies, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) über die “Quote” spricht und die beiden Top-Managerinnen Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung (BSR) und mehrfache Aufsichtsrätin, Sabine Dietrich (Commerzbank AG), sich über ihren Weg an die Spitze unterhalten, wird die Kleine unter dem großzügigen Baldachin ein Nickerchen machen. Das Himmelbett mit seinen kunstvollen Schnitzereien ist stolzer Blickfang der Africa Suite, in der normalerweise Hotelgäste übernachten – Filmleute, Geschäftsleute, Künstler & Kreative, Reisende aus aller Herren (und Frauen) Länder – die Villa KULT ist nicht nur der Geheimtipp für Kunst- und Kulturliebhaber*innen – zugleich charmante Unterkunft mit französischem Flair. Nillo Roginas war einst Sterne-Koch am Pariser Montmartre, bevor er sich mit der Villa gemeinsam mit Renate, seiner Frau, einen Lebenstraum erfüllte. Heute Abend zaubert er für uns ein vorweihnachtliches Menu. Anheimelnde Klänge der Gitarre und Violine des Musikerinnen-Duos erfüllen den Raum.

The Amazing Piazola’s Tango Cats oder Wie die Geige nach Lichterfelde fand

The Amazing Piazola’s Tango Cats sind gemeinsam mit Kai-Alexander aus Spanien gekommen – die beiden Nachwuchsmusikerinnen gehen dort auf’s Konservatorium und haben für ihre Auftritte schon einige Preise gewonnen. Nur Rachel-Raphaelas Geige ist nicht mitgereist. Die hat uns Karin Heinzl von MentorMe organisiert – über Carolin Faustmann, die wiederum eine irische Straßenmusikerin kennt, die im Wedding wohnt – und Geige spielt. Und dafür, dass die Geige vom Wedding nach Lichterfelde kommt – pünktlich zum heutigen Abend, dafür hat Anne Wachter gesorgt. Und alles hat super geklappt. So funktionieren Netzwerke im besten Sinne.

Live-Schalte zum DART nach Düsseldorf

Kaum die Sektflaschen entkorkt, sind unsere Gäste angeregt im Gespräch, tauschen sich aus, betrachten die Kunst an den Wänden. Die Amuse Gueules von Nillo sind super. Wir freuen uns, dass auch ein paar Männer dabei sind. Der Kronleuchter verströmt sein samtenes Licht, während Kai-Alexander die Scheinwerfer nach den beiden Sesseln vor der holzgetäfelten Flügeltür ausrichtet, in gleißendes Licht taucht, wo unsere Speakerinnen gleich Platz nehmen werden. Viel Zeit für den Willkommensdrink bleibt nicht. Anlässlich des 10. Aufsichtsratstags in Düsseldorf, der zeitgleich zu unseren BOARDSTORIES stattfindet, wird in ein paar Minuten Peter Dehnen, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) via Live-Schalte ein Grußwort zu uns sprechen. Um 19 Uhr muss er drüben in NRW seine Gäste begrüßen. Es ist 18:50 Uhr.

PD Dr. Elke Holst: “Suchen wir die Unternehmen und Organisationen mit den besten Boardstories!”

Zum ersten Mal in der Geschichte der BOARDSTORIES (okay, die Geschichte ist vergleichsweise kurz) gab es vor Beginn des Hauptteils eine kurze Key note, die wir BOARDSTORIES Backstage getauft haben. Wir freuen uns ganz besonders, dass wir PD Dr. Elke Holst als Expertin für diese kleine Premiere gewinnen konnten. Die Forschungsdirektorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dort zugleich Mitglied des Vorstandes und Senior Economist, ist laut F.A.Z.-Ranking eine der 100 besten Ökonom*innen Deutschlands. Und wer von Euch es noch nicht wusste: Elke Holst ist DIE Erfinderin des Managerinnen-Barometers. Wir wollten von ihr wissen, was sich seit der “Quote” in deutschen Unternehmen wirklich bewegt hat.

Erfreulich: Der Anteil der Frauen in Aufsichtsräten steigt. Aber (mit großem A): Aufgrund der öffentlichen Aufmerksamkeit dies nur mehr vor allem in den DAX 30-Unternehmen. Viele jener Konzerne mit der freiwilligen Selbstverpflichtung haben sich ein wahrlich ambitioniertes Ziel gesetzt: “Zielgröße Null”. Zahlen allein beantworten aber sowieso nicht die Frage, wo Frauen am besten aufsteigen können, ist Elke Holst überzeugt und rät: “Suchen wir die Unternehmen und Organisationen mit den besten Boardstories!” Vermutlich werden die nicht in der Finanzbranche geschrieben. Banken sind nach wie vor Männerdomaine – zumindest in puncto Führungspositionen. Was ist also notwendig? Die Hälfte der Macht und dasselbe Gehalt wie bei den Männern. Auch Männer in Teilzeit, weil das für viele Frauen immer noch der Karrierekiller ist. Mehr Verantwortung für Männer bei Pflege- und Sorgearbeit. Dazu gehört eine partnerschaftliche Aufteilung der (nicht nur der haushaltsführenden) Arbeit bei gleichem Gehalt. Wir finden: Dazu gehört auch mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Kindern. Wenn wir auf dem Weg zu flexibleren Arbeitszeitmodellen auf das Home Office setzen, dürfen  wir es nicht komisch finden, wenn sich das Baby mal beim Business-Call im Hintergrund zu Wort meldet.

Digitalisierung? Ziel sollten weitere spannende Boardstories sein.

Was Frauen auf Anraten von Elke Holst, noch so beachten sollten, finden wir besonders wichtig: Dass es bei Frauenkarrieren auch um die Situation aller anderen weiblichen Beschäftigten geht. Die Notwendigkeit von mehr Frauen in Führungspositionen sollte nicht nur für die einzelne Frau eine Verbesserung bedeuten, sondern auch für die anderen Frauen im Unternehmen. Denn Frauen bilden die Lebenswirklichkeit ab, die Männer “nicht auf dem Schirm” haben. Zum Thema “Digitalisierung” hatte Elke Holst auch ein paar stichhaltige Fakten in petto: Das Führen in gemischten Teams wird selbstverständlich und erfordert hohe Flexibilität in Hinblick auf Verhalten, Teamfähigkeit und Kommunikation – Soft Skills, die insbesondere Frauen zugeschrieben werden. (Oder ist das mit den Soft Skills nicht vielleicht doch eher ein Mythos? Vor allem wenn sie unter sich sind lässt der Krabbenkorb grüßen. Wenn ich an meine aberwitzigen Stories mit Frauen in Monokulturen zurückdenke – ich könnte einen ganzen Film drehen). Und dann die Frage: Erhalten Frauen überhaupt die Chance, wie immer behauptet wird, sich in Automatisierungsprozesse einzubringen und Weichen für Entwicklungen zu stellen? Wie dem auch sei. Das Ziel sollten weitere spannende Boardstories sein.

Tanja Wielgoß und Sabine Dietrich – was beiden im Job immer wichtig war

Das war das Stichwort und es hieß Bühne frei für Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung (BSR) und Sabine Dietrich, Mitglied des Aufsichtsrats der Commerzbank AG. “Warum nicht auch einmal Riskmanagement?” lautete das Motto der natürlich wieder unmoderierten BOARDSTORIES-Ausgabe. Ausgehend von diesem Motto beleuchteten die beiden Top-Managerinnen das Thema Risiko von einem ganz unerwarteten Blickwinkel:

Für beide Frauen war es von Anfang an wichtig, auch im Beruf ihre persönlichen Werte umzusetzen, Strukturen mitzugestalten und Leute zusammenzubringen und dafür – und das ist bezeichnend – auch mal Risiken einzugehen. Dies bedeutet ganz allgemein, auch einmal “Nein” sagen zu können. Denn jede Absage, wie zum Beispiel die Ablehnung eines Jobangebots, enthält das Risiko, beim nächsten Mal nicht mehr gefragt zu werden. Dass es doch anders laufen kann, wusste Tanja Wielgoß zu berichten. Die Politikwissenschaftlerin wurde vom damaligen Chef der Österreichischen Bundesbahnen, dem heutigen österreichischen Bundeskanzler, Christian Kern, nach ihrer Ablehnung noch einmal mit einer verantwortungsvollen Aufgabe mit den Worten bedacht: “Ein zweites Mal werden Sie mir doch keinen Korb geben?” Wir sagen: Das ist natürlich wirklich gut gelaufen. Denn oft wird uns Frauen unterstellt, wir wollten gar nicht, wenn wir mal ein vermeintlich tolles Jobangebot ausschlagen. Männer haben gute Gründe – Frauen kneifen. Aber wir wollen ja jetzt keine Fronten aufmachen.

Stationen im Ausland – Chance oder Risiko?

Auch Sabine Dietrich hatte einiges ausprobiert und dabei gar nicht so sehr ans Karrieremachen gedacht. Allerdings gehört sie nicht zu den Typen, die sich zu sehr selbst zurücknehmen. Risikobewusstsein bewies sie etwa als Führungskraft in Vietnam. Fünf Jahre lang war sie Vorständin von British Petrol (BP) bevor man sie in den Aufsichtsrat der Commerzbank holte. Heute sagt sie: “Gewiss stellt eine Station im Ausland eine tolle Chance dar, ein sicheres Rückfahrtticket gibt es allerdings nicht.”

Neinsagen und das Thomas-Prinzip

Tanja Wielgoß rät den berufstätigen Frauen in Deutschland, frühzeitig Prioritäten zu setzen und bei einem Angebot nicht immer vorauseilend gleich “Nein” zu sagen. Wenn zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine 80 Prozentstelle gehört, gehen mutige Frauen hin und ziehen das durch. Als sie den Wunsch verspürte, mehr Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen, arbeitete sie Schritt für Schritt die Anforderungen für eine Gremientätigkeit ab und forderte den Job dann für sich ein. Ergebnis: Heute hat sie ihn.

Schubladisierungen?

In den oberen Etagen deutscher Unternehmen und Organisationen herrscht aus Sicht der Mineralöl-Managerin eine gewisse Monokultur. Das liegt daran, dass bei Neubesetzungen über Jahrzehnte hinweg der typische Vorstand den Nachfolger nach seinem Ebenbild ausgesucht habe. Dieses so genannte “Thomas-Prinzip” gehöre längst auf ausgemustert, denn die globalisierte digitalisierte Welt von heute lebt von der Vielfalt der Sichtweisen und Lösungen. Hier haben Frauen gute Chancen, weil sie sehr unterschiedlich sind. Es bestehe jedoch das Risiko, dass sich Frauen in vorauseilendem Gehorsam den herrschenden Mustern anpassen und sich – sozusagen – selbst in eine Schublade stecken.

Tanja Wielgoß ergänzte, dass die Unterscheidung von männlich und weiblich problematisch sei, weil sie Individuen aus ihrer Entwicklung herausziehen. Wir haben es mit einem Rückschritt hin zur geschlechtlichen Stereotypisierung zu tun. Das Gegenteil ist doch eigentlich unser Ziel. Entscheidungen treffen zu können, heiße nicht, plötzlich männlich zu sein. Doch führe die vielerorts eingeforderte Komplexitätsreduktion erneut zu einem Zwei-Geschlechter-Denken. Der Schlüssel für gemeinsames Lernen liege jedoch in mehr Individualisierung bei gleichzeitiger Befähigung, funktionsfähige Gruppen zu schaffen. Diversität bedeutet eben mehr als Männer und Frauen. Zum Thema Rollenzuschreibungen entbrannte später dann eine engagierte Diskussion im Publikum.

Netzwerken beim Dinner und eine hitzige Debatte

Zunächst aber wurde das Buffet eröffnet – Nillos Couscous nach dem Spezialrezept aus jener Zeit, da er und seine Frau noch in Marokko lebten. Die Tango Cats spielten, Renate schenkte Wein nach, Nillos Mini-Tartes waren wieder famos und so ließ es sich auf ganz besonders angenehme Weise netzwerken. Nach dem Dinner gingen Tanja Wielgoß und Sabine Dietrich in die zweite Runde und beantworteten Fragen aus dem Publikum. Es wurde noch heftig debattiert, bevor der Abend ausklang unter der musikalischen Begleitung von The Amazing Piazzola’s Tango Cats.

Wir danken unseren Speakerinnen, Euch allen, die Ihr dabei wart und freuen uns auf ein Wiedersehen, auch mit allen, die diesmal nicht dabei sein konnten – bei den nächsten BOARDSTORIES.

Bilder: (c) James Rea, Annkatrin Kahlert, Moritz de Grancy u.a.

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